Novalis
Das Leben eines wahrhaft kanonischen
Menschen muss durchgehends symbolisch sein. Wäre unter diese
Voraussetzung nicht jeder Tod ein Versöhnungstod? – mehr
oder weniger, versteht sich – und ließen sich nicht
mehrere höchst merkwürdige Folgerungen daraus ziehen?
Novalis: Fragmente vermischten
Inhalts. (Ca. 1797.) In: Schriften, Vol. II. [Eds.:
Ludwig Tieck & Friedrich Schlegel] Fifth Edition. Berlin:
G. Reimer, 1837, pp. 237/238.
Wagner
Zur künstlerischen Darstellung
geeignet kann nur eine solche Handlung sein, die im Leben bereits
zum Abschlusse gekommen ist, über die als reine Thatsache
kein Zweifel mehr vorhanden ist, von der willkürliche Annahmen über
ihren nur möglichen Abschluß nicht mehr sich bilden
können. Erst an dem im Leben Vollendeten vermögen wir
die Nothwendigkeit seiner Erscheinung zu fassen, den Zusammenhang
seiner einzelnen Momente zu begreifen: eine Handlung ist aber
erst vollendet, wenn der Mensch, von dem diese Handlung
vollbracht wurde, [...] willkürliche Annahmen über
sein mögliches Thun ebenfalls nicht mehr unterworfen ist;
diesen unterworfen aber ist ein Mensch, so lange er lebt,
erst mit seinem Tode ist er von dieser Unterworfenheit befreit,
denn wir wissen nun Alles was er thät und was er war. [...]
Nur die Handlung ist eine vollkommen wahrhafte und ihre
Nothwendigkeit uns klarthuende, an deren Vollbringung ein Mensch
die ganze Kraft seines Wesens setzte, die ihm so nothwendig und
unerläßlich war, daß er mit der ganzen Kraft
seines Wesens in ihr aufgehen mußte. Davon überzeugt
er uns auf das Unwiderleglichste aber nur dadurch, daß er
in der Geltendmachung der Kraft seines Wesens wirklich persönlich
unterging, sein persönliches Dasein um der entäußerten
Nothwendigkeit seines Wesens willen wirklich aufhob, –– daß er
die Wahrheit seines Wesens nicht nur in seinem Handeln allein –– waß uns,
so lange er handelt, noch willkürlich erscheinen darf –– sondern
mit dem vollbrachten Opfer seiner persönlichkeit zu Gunsten
dieses nothwendigen Handelns, uns bezeugt. Die letzte, vollständigste
Entäußerung seines persönlichen Egoismus, die
Darlegung seines vollkommenen Aufgehens in die Allgemeinheit,
gibt uns der Mensch nur mit seinem Tode kund, und zwar
nicht mit seinem zufälligen, sondern seinem nothwendigen,
dem durch sein Handeln und der Fülle seines Wesens bedingten
Tode.
Die Feier eines solchen Todes, ist die würdigste,
die von Menschen begangen werden kann. Sie erschließt
uns nach dem, durch jenen Tod erkannten, Wesen dieses einen Menschen
die Fülle des Inhaltes des menschlichen Wesens überhaupt.
Am vollkommensten versichern wir uns des Erkannten
aber in der bewußtvollen Darstellung jenes
Todes selbst, und, um ihn uns zu erklären, durch
die Darstellung derjenigen Handlung, deren nothwendiger
Abschluß jener Tod war.
Richard Wagner: Das
Kunstwerk der Zukunft. Leipzig: Otto Wigand, 1850; pp. 208-210.
Heidegger
Das Dasein existiert je schon
immer gerade so, daß zu ihm sein Noch-nicht gehört.
[...] Der Tod als Ende des Daseins ist die eigenste, unbezügliche,
gewisse und als solche unbestimmte, unüberholbare Möglichkeit
des Daseins. Der Tod ist als Ende des Daseins im
Sein dieses Seienden zu seinem Ende.
Martin Heidegger: Sein und Zeit. Tübingen:
Max Niemeyer, 1927, pp. 243/258/259.
Das zentrale Kapitel von Sein
und Zeit behandelt "Das mögliche Ganzsein
des Daseins und das Sein zum Tode." Es wird, wie
sich dann weist bloß rhetorisch, gefragt, "ob
dieses Seiende als Existierendes überhaupt in seinem Ganzsein
zugänglich werden kann." [...] Heidegger-immanent
ist abzusehen, was er später mit soviel Aplomb vorträgt:
daß das Leben eines Menschen zum Ganzen sich runde wie
nach biblischer und epischer Vorstellung, sei nicht darum a
priori ausgeschlossen, weil alle sterben müssen. [...]
Weil dem Ontologen Ganzsein
nicht die Einheit des ganzen Inhalts von realem Leben sein darf,
sondern qualitativ ein Drittes sein muß, wird Einheit nicht
im Leben als einem in sich einstimmigen, artikulierten und kontinuierlichen
aufgesucht, sondern an dem Punkt, der Leben begrenzt und es samt
seiner Ganzheit vernichtet. Als nicht Seiendes, oder wenigstens
als Seiendes sui generis außerhalb des Lebens, sei dieser
Punkt, wiederum, ontologisch. [...] Der Tod wird, der Faktizität
entrückt, zum ontologischen Stifter der Ganzheit. [...]
Dem Tod, der Negation des Daseins, wird danach Sein mit nachdruck
bescheinigt. Ontologisches Konstituens des Daseins, stattet der
Tod allein es mit der Würde von Ganzheit aus. [...] Zum
Ganzen werde Dasein ontologisch kraft des Todes, der ontisch
es zerreißt.
Heidegger's "Sein zum Tode" as
summarized by Theodor W. Adorno: Jargon der Eigentlichkeit. Frankfurt
a.M.: Suhrkamp, 1964. [In: Negative Dialektik
/ Jargon der Eigentlichkeit. Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 2003,
pp. 509-511.]
Übrigens bewegen derlei
von Heidegger veranlaßte Argumentationen zwangsläufig
sich in einer Sphäre des Blödsinnigen [...].Das von
Heidegger gering geschätzte "Vorkommnis" [des
Todes], das "niemandem eigens zugehört",
gehört, nach dem Sprachgebrauch, durchaus jemandem zu, nämlich
dem, der stirbt; einzig solipsistische Philosophie dürfte
dem Tod von "mir" gegenüber dem eines jeden anderen
ein ontologisches Prius zuerkennen.
Theodor W. Adorno: Jargon der
Eigentlichkeit. Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 1964. [In: Negative
Dialektik / Jargon der Eigentlichkeit. Frankfurt a.M.:
Suhrkamp, 2003, pp. 513. The quotes are from Martin Heidegger: Sein
und Zeit. Tübingen: Max Niemeyer, 1927, p. 253.]
Beuys
Aber erst die Begegnung
mit dem Tod, der Vorblick auf das sichere eigene Lebensende mit
seinen Verlusten und seiner Einsamkeit können aus freien
Stücken den Wunsch entstehen lassen,
auf das gelebte Leben als auf eine vollendete Gestalt zurückblicken
zu wollen wie auf die Skulptur eines Künstlers.
Advertisement for: Johannes Stüttgen: Zeitstau
Im Kraftfeld des Erweiterten Kunstbegriffs von Joseph Beuys. Verlag
Urachhaus. [In: Joseph Beuys: Aktive Neutralität.
Die Überwindung von Kapitalismus und Kommunismus. Ein
Vortrag mit Diskussion am 20. Januar 1985. Wangen: Freie
Volkshochschule Argentai, 1985.]
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